Wahlkämpfer mit biblischer Geduld


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Replik: «Starker Kommunikator und Vermittler für einen starken Kanton Bern»

«Einen langen Atem, ja, das habe ich. Ich setze mich gerne und mit Überzeugung für etwas ein, von dem ich weiss, dass es erst übermorgen zum Ziel kommen wird. Oft ist es jedoch so, dass diese Ergebnisse dann umso nachhaltiger sind. 
Gar so harmoniebedürftig, wie das oben tönt, bin ich dann doch wieder nicht. Gerade als Vermittler muss man die beiden Pole am runden Tisch schon mal herausfordern oder gar provozieren. Nur so kommen oft die wahren Beweggründe zum Vorschein. Und das ist manchmal ein Teil der Lösung: dass ehrlich und authentisch gesagt wird, was man befürchtet oder was man anstrebt. 

Ein Aspekt meiner Kandidatur geriet beim Porträt unters Eis. Bisher ist nicht die ganze bernische Bevölkerung in der Regierung vertreten. Durch meinen Einsitz in der Exekutive wäre neu auch die politische Mitte vertreten, welcher immerhin etwa ein Fünftel der Bevölkerung nahe steht. Damit wären die Bernerinnen und Berner des Kantons besser repräsentiert. Dies würde zur Glaubwürdigkeit der Regierung gegenüber Parlament und Bevölkerung beitragen, und dem Hickhack zwischen Parlament und Exekutive wäre ein Ende gesetzt.» Marc Jost
Die bevorstehenden Regierungsratswahlen sind auch ein Happening alter Bekannter: Sämtliche sieben bisherigen Regierungsmitglieder treten wieder an. Und mit ihnen einer der Herausforderer, EVP-Grossrat Marc Jost (40), der quasi zum Inventar bernischer Wahlkämpfe gehört: Jost hatte sich schon 2010 als Regierungsratskandidat versucht. 2011 strebte er die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga in der bernischen Ständeratsdelegation an, was allerdings so aussichtslos war wie sein jetziges Unterfangen, sich, im Bündnis mit der grünliberalen Barbara Mühlheim, in die Kantonsregierung wählen zu lassen.
37000 Stimmen vereinigte Jost vor vier Jahren auf sich, 68'000 Stimmen betrug das absolute Mehr, das er mindestens hätte erreichen müssen, um den Sprung in die Regierung zu schaffen. Der ehemalige Pfarrer braucht im wahrsten Sinn des Worts biblische Geduld, wenn er sein Ziel, dereinst die professionelle Politik oder gar einen Regierungssitz zu erreichen, wirklich ernst meint.
Allerdings deutet vieles darauf hin, dass diese biblische Geduld auf dem Weg zur Mehrheitsfähigkeit in ihm steckt. Ein Beispiel aus seiner politischen Arbeit als Grossrat zeigt seine Zähigkeit exemplarisch: Seit sieben Jahren macht er sich dafür stark, dass der Kanton Bern (und mit ihm die Bedag Informatik AG) bei eigenen Softwareentwicklungen eine sogenannte Open-Source-Strategie einschlägt – also nicht auf dem Urheberrecht besteht, sondern ihre Produkte für andere Kantone freigibt, damit später Entwicklungskosten geteilt werden können. 2007 stiess Jost damit im Kantonsparlament auf Unverständnis. Er liess sich aber nicht beirren, und kürzlich wurde ein von ihm mitunterzeichneter Vorstoss für Open-Source-Software ohne Gegenstimme überwiesen.
Regierungsmitglieder treten nach vierjähriger Legislatur mitunter desillusioniert und überroutiniert auf. Dagegen wirkt der smarte vierfache Familienvater Jost hoffnungsvoll und unverbraucht wie eh und je, als könnte er noch zahllose Wahlkämpfe bestreiten. Jost spricht leise, überlegt und selten, ohne zu lächeln. Daheim lebt Jost das klassische Modell der Familie, für ihn die Kernzelle der Gesellschaft: Er arbeitet voll, seine Frau bleibt bei den Kindern. Sie stehe absolut hinter seinem politischen Engagement, sagt Jost, und wäre es einmal nicht mehr so, würde er sofort zurückschrauben.
Sein passioniertes Kandidieren versteht Jost, der eine respektable Facebook- und Twitter-Präsenz ausweist, als eine Art Service public für die Wahlberechtigten: Als Mann der politischen Mitte sorge er zwischen den starren Blöcken von Bürgerlichen und Rot-Grünen für eine echte Auswahl auf dem Wahlzettel, argumentiert er.
Allerdings ist diese Auswahl weitgehend theoretisch, weil im Majorzwahlsystem, das bei den Regierungsratswahlen zur Anwendung kommt, fast nur eine realistische Wahlchance hat, wer auf einer der breit abgestützten Viererlisten links oder rechts der Mitte antritt. Jost lässt sich von dieser grandiosen Aussichtslosigkeit keineswegs aus dem Konzept bringen.
Er sei sehr gerne Kandidat, beteuert er. Die Wahlkampfstimmung behage ihm. Die öffentlichen Auftritte, selbst vor lichten Zuhörerreihen. Die Journalistenfragen. Das Herumreisen im Kanton. Die latente Aufregung. Wobei: Auch Marc Jost muss zugeben, dass die Wahlkampftemperatur bisher den Gefrierpunkt kaum überschritt. Immerhin: Er fühle sich in seiner Rolle als Aussenseiter durchaus ernst genommen.
Dass der bekennende Christ Marc Jost hartnäckig auf seinem Standpunkt beharrt, dafür vielleicht sogar aus der Haut fährt oder auf den Tisch haut – man kann es sich nicht wirklich vorstellen. Und deshalb fällt es schwer, sich einen amtierenden Regierungsrat Marc Jost vors geistige Auge zu holen. Einen Marc Jost, der nicht immer als Erstes Verständnis hat für die Argumente des politischen Gegners, der sich getrauen würde, die Harmonie im Kollegium aufs Spiel zu setzen oder, wenn es sein muss, sogar die eigene Gefolgschaft zu brüskieren.
In seiner Arbeit als Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz, des Verbands landes- und freikirchlicher Gemeinden, der rund 250'000 Christen repräsentiert, befasst sich Marc Jost häufig mit grossen, globalen Themen – dem ökonomischen Gefälle zwischen Nord und Süd etwa, der Multikulturalität oder der Klimaerwärmung, die für ihn zur «Bewahrung der Schöpfung» christliches Engagement erfordert. Daneben müssten ihm die Berner Regierungsgeschäfte fast etwas eng gestrickt vorkommen.
Absolut nicht, findet Jost. Die noch laufende Legislatur mit der Cohabitation von rot-grüner Regierung und bürgerlichem Parlament habe er als mühsam empfunden, weil sich das Lagerdenken richtiggehend festgefressen habe. Ein Regierungsmitglied genau mit seinem Profil – ausgleichend und pragmatisch – könnte sehr viel zur Vermeidung von Reibungsverlusten beitragen, glaubt Jost. Und er würde es sich als Regierungsrat zur Aufgabe machen, Tabuthemen beider dominierender Blöcke zu hinterfragen – das Steuersenkungsmantra der Bürgerlichen etwa oder die Verweigerung der Linken, staatliche Leistungen abzubauen.
Die Weitläufigkeit und die omnipräsenten Bruchlinien zwischen Stadt und Land hält Jost für den grossen Challenge des Kantons Bern. Weiter komme man da eigentlich nur, wenn man die Fähigkeit habe, ohne vorgefasste Ideologien Blockaden zu überwinden. Wäre er als klar positionierter Christ der Richtige?
Wahr sei, sagt Marc Jost, dass er als christlicher Politiker oft auf Vorbehalte und Berührungsängste stosse. Dabei sei sein offen dargelegtes religiöses Bekenntnis ein Zeichen der Transparenz. Jeder Politiker habe ein inneres Wertesystem, im Unterschied zu ihm wisse man bei den meisten anderen aber nicht genau, an was sie sich orientieren.
Auf den einfachsten Nenner gebracht: Die Bibel, so Jost, leite ihn an, bei seinem politischen Handeln stets und ausschliesslich das Wohl des Menschen im Auge zu behalten. Wenn nötig das des Schwächeren.

Jürg Steiner

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