Gib mehr als du nimmst!


Ein Berufskollege steht auf dem Friedhof und hält die Grabrede. Um ihn herum ist einzig der Sarg mit dem Toten und die Bestatter. Die Grabrede hält er zu sich selber. Es herrscht gähnende Leere. Eine sonderbare Situation, weshalb kam niemand zur Trauerfeier? In Gesprächen mit Angehörigen findet der Pfarrer heraus, dass der Tote ein Mensch war, der fast ausschliesslich auf seine eigenen Bedürfnisse bedacht war und der, je älter er wurde, umso verbitterter gewesen war. So wie er gelebt hatte, war er auch gestorben: alleine mit sich selber.
Bei einer anderen Beerdigung platzte die Kapelle aus allen Nähten, und man trat ratlos an den Pfarrer heran, was man mit den vielen weiteren Trauergästen nun tun solle. Auch am Grab war schlicht zu wenig Platz für alle, die von dem Verstorbenen Abschied nehmen wollten. Was war hier anders? Rückblickend auf das Leben der Person konnte man feststellen: All die Menschen waren nicht erschienen, weil der Verstorbene viel von der Welt nehmen wollte, sondern weil er so viel gegeben hatte. Was ihm anvertraut wurde, gab er anderen Menschen weiter. Er investierte seine Gaben und beschenkte andere. Aus Dankbarkeit und in guter Erinnerungen an diese Grosszügigkeit kamen die Menschen zur Trauerfeier.
“Geben ist seliger als nehmen.” So zitiert Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, Jesus im 20. Kapitel. “Selig”, was bedeutet das - über die Anzahl der Besucher meiner Beerdigung hinaus? Lukas verwendet dasselbe Wort, das Jesus in der Bergpredigt bei den Seligpreisungen gebraucht. Und verschiedene Bibelübersetzungen reden dort von “gesegnet” oder “glücklich” ist, wer dies oder jenes tut... Also kurz und fromm: “Wer viel gibt, wird reich gesegnet.” Oder etwas volkstümlicher: “Wer mehr gibt, als er nimmt, lebt glücklicher.”
Ein Soziologe wollte dieser These auf den Grund gehen und machte Umfragen. Über 200 alte Menschen, die andere als glücklich bezeichneten, hat er interviewt um herauszufinden, was es denn sein könnte, das ihr Leben erfüllt. Und siehe da! Ein Element, das immer wieder vorkam, war das grosszügige Geben: “Als wir den Menschen zuhörten, die andere uns als glücklich und weise beschrieben hatten, wurde uns bewusst, dass der, der am meisten gibt, das grösste Mass an Freude erntet.”
“Gib mehr als du nimmst”, ist demnach tatsächlich eine verheissungsvolle Aufforderung. Interessant wäre es bestimmt, einen Ökonomen zu fragen, was er über dieses Prinzip denkt. Wäre das Bibelzitat “Geben ist seliger als nehmen” vielleicht sogar etwas für die Finanzwelt? Es ist jedenfalls erstaunlich, dass viele Menschen sagen, dass sie reich beschenkt werden, wenn sie grosszügig weitergeben.
Nun ist es ja gut und recht, dass wir selber glücklich werden möchten und dass wir uns dem entsprechend anspornen viel weiterzugeben. Gleichzeitig ist es immer wieder schön zu sehen, wie sich der Beschenkte oder die Empfängerin selbst über eine Gabe freut. Es geht also nicht nur um die Anzahl der Besucher auf meiner Beerdigung, sondern auch darum, dass mein Mitmensch gesegnet wird.

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