Suizid oder weiter leben

Vor einigen Jahren erlaubte ich mir, in einem Leserbrief die Praxis der so genannten Sterbehilfeorganisationen kritisch zu kommentieren. Ich schrieb, dass es skandalös sei, wenn nun sogar psychisch-kranken Menschen der Todesbecher angesetzt würde. Es dauerte nicht lange, und ich erhielt Post vom Leiter von „Dignitas“. Darin schob er mir die Verantwortung für etliche Selbsttötungen zu, weil meine Haltung, darin etwas Falsches zu sehen, Menschen geradezu in den Suizid treiben würde.
Fördert denn eine ablehnende Haltung tatsächlich den Suizid bei gefährdeten Personen? Ich denke nicht. Allerdings sehe ich die Gefahr, dass solche Themen wie der Suizid allzu oft tabuisiert werden. Gerade wenn ich diesen Weg aus dem Leben zu gehen nicht als Option anbiete, sollte ich trotzdem explizit über die Möglichkeit reden. Es totzuschweigen ist bestimmt problematisch und kontraproduktiv.
Viel wichtiger aber scheint mir das Gespräch über die Probleme und Schwierigkeiten, welche einen Menschen zu diesem Ausgang bewegen. „Darüber sprechen heisst: Leben retten“, sagt ein Pfarrerkollege von mir. So haben denn Psychiater, welche schwerkranke Menschen begleiten, festgestellt, dass allein die Tatsache, mit betroffenen Menschen vermehrt über ihre Situation zu sprechen, den Sterbewunsch grösstenteils verschwinden liess.
Neben körperlichen Schmerzen, die heute durch palliative Pflege meist erträglich gemacht werden können, ist die Einsamkeit und der psychische Schmerz die grosse Herausforderung. Sind wir bereit, uns Zeit zu nehmen für unsere Angehörigen, unsere Nachbarn und unsere Freunde in Not? Sind wir bereit fürs offene Gespräch und die liebevolle Zuwendung, die in unserer Zeit nötiger denn je ist?

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