Kleine Anerkennung mit grosser Auswirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Postulatsforderung
Der Regierungsrat wird beauftragt abzuklären und Bericht zu erstatten, ob ein neues Gesetz für die Anerkennung von Glaubensgemeinschaften, die nicht öffentlich-rechtlich anerkannt sind, vorgelegt werden soll.
Dabei
zieht der Regierungsrat folgende Kriterien für die Anerkennung von den Glaubensgemeinschaften
in Betracht:
a.
Die Glaubensgemeinschaft
ist eine demokratisch organisierte Rechtspersönlichkeit, welche die
Rechtsordnung respektiert (Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere
Glaubensfreiheit sowie der Verfassung und der geltenden Gesetze)
b.
Sie fördert den
Religionsfrieden (transparente Information, Dialog mit anderen Gruppen)
c.
Sie verfügt über
eine transparente Finanzverwaltung.
d.
Sie erbringt
gemeinnützige Tätigkeiten für das Wohl der Gesellschaft.
e.
Sie besteht bereits
über eine definierte Zeitdauer im Kanton Bern.
f.
Sie gewährt den
Mitgliedern jederzeit den Austritt.
Zudem prüft der Regierungsrat unter anderen die
folgenden Rechte für anerkannte Glaubensgemeinschaften:
-
Zugang zu
Spital-, Gefängnis- und Militärseelsorge (geistliche Betreuung in öffentlichen Anstalten)
-
Möglichkeit von Religionsunterricht
und Benutzung von Schullokalen
-
Steuerbefreiung
auf Grund von Gemeinnützigkeit
-
Keine spezifischen
Einschränkungen bei Bauprojekten
Begründung
Logischer nächster Schritt
Im Jahr 2015 wurde im Bericht des Regierungsrates über das Verhältnis von Kirche und Staat unter dem Leitsatz 8 festgehalten, dass Massnahmen zur Förderung von Religionsgemeinschaften, welche gesellschaftlich relevante Leistungen erbringen und keine öffentlich-rechtliche Anerkennung geniessen, geprüft werden sollen. Damals wurde festgehalten, dass bis auf weiteres auf ein Anerkennungsgesetz verzichtet werden soll.
Im Jahr 2015 wurde im Bericht des Regierungsrates über das Verhältnis von Kirche und Staat unter dem Leitsatz 8 festgehalten, dass Massnahmen zur Förderung von Religionsgemeinschaften, welche gesellschaftlich relevante Leistungen erbringen und keine öffentlich-rechtliche Anerkennung geniessen, geprüft werden sollen. Damals wurde festgehalten, dass bis auf weiteres auf ein Anerkennungsgesetz verzichtet werden soll.
In
der Zwischenzeit hat der Grosse Rat das Landeskirchengesetz in der 1. Lesung
verabschiedet und die übrigen Leitsätze des oben erwähnten Berichtes umgesetzt.
Förderungsmassnahmen für andere Glaubensgemeinschaften wurden bisher weder
beschlossen noch diskutiert. Jetzt ist es Zeit auch darüber zu debattieren. Bei
diesem nächsten Schritt ist es wichtig, dass neben anderen Fördermassnahmen auch
eine so genannte «kleine Anerkennung» von Glaubensgemeinschaften im Kanton Bern
geprüft wird, wie dies bereits in einigen anderen Kantonen möglich ist.
Grosse Vielfalt an
Glaubensgemeinschaften im Kanton Bern
Im
Kanton Bern hat Stefan Rademacher (Religiöse Gemeinschaften im Kanton Bern –
Ein Handbuch, 2008) eine grosse Vielfalt festgestellt: rund 200
Glaubensgemeinschaften zählt er, darunter zum Beispiel 80 Freikirchen
(Versammlungsorte gibt es viel mehr). Jede vierte Person gehört nicht einer
Landeskirche an. Und etliche Mitglieder einer Landeskirche sind auch in einer
anderen Glaubensgemeinschaft aktiv und identifizieren sich unter Umständen
stärker mit dieser. «Die in der Kantonsverfassung vorgesehene Möglichkeit der
Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften kann auf Dauer nicht toter
Buchstabe bleiben. Ansonsten gerät das System der öffentlich-rechtlichen
Anerkennung überhaupt ins Wanken», hat der Regierungsrat 2015 festgestellt.
Deshalb ist es richtig jetzt einen nächsten Schritt zu prüfen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch
Integration
Für
Glaubensgemeinschaften würde eine Anerkennung nicht nur materielle Vorteile
bringen, sondern vor allem gesellschaftliche Akzeptanz. Gemeinschaften, welche
sich über Jahrzehnte vorbildlich gesellschaftlich integriert haben und auch dem
Wohl der Gesellschaft dienen, sollen nicht länger einem Verdacht ausgesetzt
sein, nur weil sie nicht öffentlich-rechtlich anerkannt sind. Der Bericht «Dienstleistungen,
Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz» (NFP58,
Projekt FAKIR) hat aufgezeigt, dass nicht nur Landeskirchen, sondern auch
bisher nicht anerkannte Freikirchen einen grossen Nutzen für die
Gesamtgesellschaft erbringen. Insbesondere die Anzahl Stunden von
Freiwilligenarbeit pro 100 Mitgliedern ist in Freikirchen massiv höher als bei
den Landeskirchen. Und dieses Engagement kommt in etlichen sozialdiakonischen
Projekten Menschen zu Gute, die nicht Mitglied sind (Jugendarbeit, Seniorenarbeit,
Integration von Migranten, Arbeit für Bedürftige usw.).
Der
Kanton Bern kann also durch seine Anerkennung jenen Gruppen gesellschaftliche
Akzeptanz ermöglichen, die sich erfolgreich in der Gesellschaft einbringen und
ihren Integrationsprozess abgeschlossen haben. Zugleich kann er den
Zusammenhalt stärken, indem die Anerkennung von Glaubensgemeinschaften auch das
Zusammenleben und das Vertrauen fördert.
Fairer Umgang mit anderen
Glaubensgemeinschaften
Die Religionsfreiheit sowie das Diskriminierungs-
und das Willkürverbot und insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot halten den
Kanton Bern an, nicht einfach das Landeskirchengesetz zu aktualisieren, sondern
dort Verbesserungen zu schaffen, wo insbesondere Handlungsbedarf besteht: Und
dieser besteht bei allen anderen Glaubensgemeinschaften. In einem
Rechtsgutachten aus dem Jahr 2005 heisst es: «Das Rechtsgleichheitsgebot
verpflichtet im religiösen Bereich den Staat, die materielle Parität zu wahren.
Daraus lässt sich an die Adresse des Kantons die Forderung ableiten, die öffentlich-rechtliche
Anerkennung auf weitere Religionsgemeinschaften auszudehnen: ‚In der heutigen
auch religiös und kulturell mehr und mehr pluralistischen Gesellschaft‘ ist es
immer weniger plausibel, warum bei den christlichen Religionsgemeinschaften die
öffentlich-rechtliche Anerkennung auf die - vom Mitgliederschwund betroffenen –
Landeskirchen eingegrenzt sein soll. Die bestehende Ungleichbehandlung wird dadurch
verschärft, dass zwischen einer vereinsrechtlichen und einer öffentlich-rechtlichen
Stellung erhebliche Unterschiede bestehen. Die Rechtsgleichheit gebietet nun
zwar nicht, dass andere Religionsgemeinschaften ebenso als Landeskirchen
anerkannt werden müssen. Aber sie legt es dem Kanton nahe, sie zumindest auf einer
tiefer liegenden Anerkennungsstufe ebenfalls in das öffentliche Recht
einzubinden.»
Keine Verfassungsänderung nötig
Die Kantonsverfassung ermöglicht es, weitere
Glaubensgemeinschaften öffentlich-rechtlich anzuerkennen (Art. 126 Abs. 2 KV).
Sie werden dadurch zwar nicht zu Landeskirchen, erfahren allerdings
durch den Kanton eine besondere Wertschätzung in Form einer „offiziellen
Unbedenklichkeitserklärung“. Damit weitere Glaubensgemeinschaften anerkannt
werden können, müsste der Kanton ein Anerkennungsgesetz schaffen, das die
Voraussetzungen, das Verfahren und die Rechte der öffentlich-rechtlichen
Anerkennung regelt. Die konkrete Anerkennung könnte dann zum Beispiel durch einen
Beschluss des Grossen Rates erfolgten.
(Wird am 7.9.2017 von EVP im Grossen Rat, Kanton Bern eingereicht.)
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