Ein Lobbyist für Gott - Porträt im Tagesanzeiger
"Drängen
wir Religion einfach in die Privatsphäre ab und lassen sie nicht zum Thema
werden, wird es gefährlich". Darum macht Marc Jost (41) aus seinem Glauben
kein Geheimnis, im Gegenteil: Der frühere Pfarrer ist als Lobbyist Gottes in
der Politik unterwegs, seit dem 1. Juni als Präsident des 160-köpfigen Berner
Grossen Rats. Schon zweimal hat er für einen Sitz in der Berner Regierung
kandidiert, 2011 für den Ständerat. Im Herbst will er in den Nationalrat, als
Spitzenkandidat der EVP. Jost ist so etwas wie der Ziehsohn des früheren
Parlamentariers Heiner Studer; vier Jahre lang war er dessen Assistent, hat für
ihn recherchiert und Stellungnahmen erarbeitet. "Für mich war das
mitentscheidend, dass ich in die Politik eingestiegen
bin".
Wobei
das E bei Jost eher für "Evangelikal" als für "Evangelisch" steht.
Obwohl er auch zur Landeskirche gehört, ist seine Biographie stark freikirchlich
gefärbt. In Spiez aufgewachsen, war er von Kindsbeinen an mit dem Evangelischen
Gemeinschaftswerk verbunden, dem er später in Thun als Pfarrer diente. Theologie studierte der
Ex-Primarlehrer nicht an einer staatlichen Fakultät, sondern am theologischen
Seminar der Freikirche Chrischona. "Ich suchte einen Ort, wo ich parallel
zum Studium den Glauben verbindlich in der Gemeinschaft von Studierenden leben konnte.
Mit
seiner Frau und den vier Kindern gehört Jost heute zur "BewegungPlus" in
Thun, einer klassischen Freikirche mit breitem Freizeitangebot auch für
Jugendliche. Hier findet er, was ihm in der Landeskirche bisweilen fehlt:
lebendige Gottesdienste, starkes Engagement und ein "klares Bekenntnisses zu
Jesus Christus als Herr und Freund". Anders als der
Durchschnitts-Evangelikale beruft sich Jost aber nicht auf ein
Bekehrungserlebnis. Die persönliche Jesus-Beziehung hat seine Vita ohne Brüche
immer schon getragen und zur jetzigen Tätigkeit motiviert. Hauptberuflich ist
er Co-Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA, zuständig
für Gesellschaftsfragen.
Mit
dem Dachverband von Freikirchen und Landeskirchen sowie
christlichen Organisationen teilt er die Positionen in Moral und
Politik. Kürzlich hat er in der "Arena" zum Thema "Ehe für alle" die Privilegierung der herkömmlichen Ehe
verteidigt: Argumentiere man vom Kind her, müsse man gegen das Adoptionsrecht
sein. Als Mann könne man nicht das Mami ersetzen. "Warum vom Ideal abrücken,
dass Kinder Eltern in geschlechtlicher Komplementarität erleben?" Darum
müsse man homosexuelle Partnerschaften anders behandeln. Die jetzige Lösung
einer registrierten Partnerschaft möchte Jost auf Leute ausweiten, die in Kommunitäten leben.
Als
Freund und Seelsorger sei er mit vielen Homosexuellen in Kontakt. Einige seien
mit ihrem Leben zufrieden. Jenen, die wegen ihrer
sexuellen Ausrichtung leiden, denen müsse
man helfen. Dies sei bei den Evangelikalen üblich. "Ich
kenne ehemals homosexuell empfindende Männer, die heute sagen, sie seien
zufrieden in der Heterobeziehung", sagt Jost und fügt hinzu: "Ich weiss,
dass das politisch nicht korrekt ist".
Jost
plädiert auch für ein Verbot der Suizidhilfe mit den gängigen Argumenten: "Diese zu legalisieren bedeutet, auf eine schiefe Ebene zu kommen und
in die Rolle von Gott zu rutschen, indem man selber über Leben und Tod
entscheidet". Weil er das Leben als Geschenk Gottes sieht, lehnt er die
Fristenregelung ab und setzt sich für den Lebensschutz ein. Am 19. September hält er am "Marsch fürs Läbe" eine Predigt. Initiant Daniel Regli sei auf das
Anliegen der Allianz eingegangen, weniger provozierend aufzutreten.
Dennoch
sieht sich Jost nicht in der Fundiecke, auch seine Bekannten täten dies nicht,
viele seien im Gegenteil neugierig, mehr über seine Tätigkeit zu erfahren. Mit
den Ratskollegen käme es zu oft zu gutem Austausch bis hin zu
Seelsorgegesprächen. "Wertkonservativ, aber weltoffen" bezeichnet Jost
sich selber, als Politiker der Mitte: "Die EDU wäre nie meine Partei
gewesen". Der Theologe gehört nicht zu den frommen Zeitgenossen, für die
einzig das innere Glaubenserlebnis zählt. Seit seinem vierten Studienjahr, das
er im Bürgerkrieg geschüttelten Kolumbien verbracht hatte, beschäftigt er sich
mit Fragen die weltweite Gerechtigkeit betreffend. "Kirche ist nur Kirche,
wenn sie für die anderen da ist", die Maxime von Dietrich Bonhoeffer ist
auch die seine.
Bis
zur Übernahme des Präsidiums im Grossen Rat hat Jost den christlichen
Hilfswerksverband "Interaction" geleitet und steht ihm heute als
Präsident des Vorstandes vor. Durch die Hilfsprojekte der 26 Allianz-Werke hat
Jost Einblick ins Asylwesen erhalten. Im Dezember besuchte er im Libanon
syrische Flüchtlingslager. "Wenn man dieses himmelschreiende Elend sieht,
kann man die plakative Asyl-Politik der nationalen SVP
schlicht nicht nachvollziehen", empört er sich. Und freut sich um so mehr,
dass innerhalb der Allianz bereits 450 Personen bereit seien, Asylsuchende zu
begleiten und aufzunehmen. Derzeit ist er im Kanton Bern in ein Projekt
involviert, das ein Haus für Migranten aus
dem arabischen Raum betreibt.
Schliesslich
sagt laut Jost der christliche Gott allen Menschen Hilfe zu, auch den Muslimen.
Anders als EDU und SVP hatte er gegen die Minarett-Initiative votiert, aus
Respekt vor der Glaubensfreiheit. Damit vereinbar ist für ihn, dass die
SEA jedes Jahr während des Ramadan die Aktion "30 Tage Gebet für die
islamische Welt" lanciert und für die Bekehrung der Muslime zu Christus
betet. "Beherzige ich den Auftrag Jesu an die Kirche, muss ich mich an die
ganze Schöpfung und an alle Menschen wenden. Wir wünschen uns für jeden
Menschen, dass er sich durch Christus mit Gott versöhnt".
Jost versucht dabei , das mit Manipulation und Zwang assoziierte Wort "Mission" zu vermeiden. Er spricht lieber von Austausch in Liebe, in der
Veränderung stattfinde. "Es ist nicht gleichgültig, was ich glaube und
lebe", sagt er. Leider aber verbiete es heute die Political Correctness,
Unterschiede im Gottesbild zu werten und zu beurteilen.
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