Sei keine Ziege!


Gegen Ende des Matthäusevangeliums wird eine Rede von Jesus zitiert, die mich immer wieder sehr bewegt und beunruhigt. Jesus sagt dort zu den Anwesenden, dass er selber am Ende der Zeiten alle Menschen der Erde in zwei Gruppen teilen werde, so wie ein Hirte Schafe von Ziegen trenne. Und zu den „Schafen“ werde er sagen: "Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! … Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen; ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht." Daraufhin werden die Angesprochenen fragen: Wann war denn das? Wir können uns nicht erinnern. Die Antwort Jesu: "Ich sage euch: Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen–, das habt ihr für mich getan."

Dann wird er sich an jene auf der anderen Seite wenden – im Gleichnis die Ziegen - und sagen: "Geht weg von mir, ihr seid verflucht!", und wird dann in Negativform aufzählen, was sie ihm nicht getan haben. Die Betroffenen fragen wiederum: Wann soll das geschehen sein? Und die Antwort Jesu: "Ich sage euch: Was immer ihr an einem meiner Brüder zu tun versäumt habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen –, das habt ihr mir gegenüber versäumt."

Es ist die Zuspitzung der Nächstenliebe par Exellence, was dieses Gleichnis ausdrückt. Und Jesus weist zudem darauf hin, dass unser Verhalten gegenüber den Schwächsten auf dieser Erde Konsequenzen vor Gott haben werde. Sind das nicht krasse Worte? Ja, und zugleich - wenn da ein gerechter Gott ist, wird er auch von seinen Geschöpfen Gerechtigkeit fordern.

Am Sonntag dem 10.10.10 werden weltweit christliche Kirchen mit dem „StopArmut-Sonntag“ an jene Milliarde Menschen denken, die auf unserem Globus in Armut leben. Sie haben weniger als einen Dollar pro Tag um zu leben. Das endzeitliche Gleichnis Jesu wird in unserer Zeit umso herausfordernder, weil wir in einer globalisierten und mobilen Welt täglich unzählige Nöte von überall mitbekommen. Wie können wir da dem Anspruch Jesu noch gerecht werden? Wie können wir all der Not in geforderter Weise begegnen? Sind wir nicht schlicht überfordert, noch wenn wir denn möchten?

Gott kennt uns. Er hat uns gemacht und weiss um unsere Möglichkeiten und Grenzen. Er sieht das Herz des einzelnen Menschen an. Und wenn wir im Herzen den Entschluss gefasst haben, dass es uns nicht egal ist, wie es anderen Menschen zum Beispiel auf der Südhalbkugel geht, dann werden wir dem Notleidenden und Schwachen grundsätzlich anders begegnen. Und ganz sicher ist es eine Hilfe, wenn wir das zu Herzen nehmen, was Jesus in diesem Gleichnis sagt: Wenn wir einem Menschen in seiner Schwachheit helfen, so ist es, als ob wir Gott begegnen. In diesem Sinne: Sei keine Ziege, sondern ein Schaf und höre auf die Stimme des Hirten, so begegnest du ihm in deinem Nächsten!

erschienen in Thuner Tagblatt, Berner Oberländer vom 9. Okt. 2010

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